Die typische Eichhornsignatur setzt sich aus den Teilen a. lateinische Zahl, b. Buchstabe und c römische Zahl zusammen. Auf die Bedeutung von a. und b. wurde in Teil 3 dieser Blogfolge eingegangen. Nach gängiger Ansicht gibt die römische Zahl den Monat des Herstellungsjahres an, also z.B. III für März oder IV für April etc. Drei Gründe sprechen gegen diese Interpretation: Erstens ist es unverständlich, dass ein eher unbedeutendes Detail wie der Herstellungsmonat explizit festgehalten wird, da ja nicht einmal das wesentlich bedeutsamere Herstellungsjahr eindeutig angegeben wird. Zweitens habe ich nach Sichtung zahlreicher Instrumente nie römische Ziffern im Dreifachcode a.b.c gesehen, die über die Zahl IV hinausgegangen wären. Alle Angaben mit römischen Zahlen höher als IV hängen mit einer anderen Art der Kodierung zusammen, die weiter unten angesprochen wird. Drittens erscheint die römische Zahl nicht im Stammbuch, in dem sich eine Zuordnung zum Herstellungsjahr ohne weiteres nachvollziehen lässt. Weitaus logischer scheint mir daher folgende Interpretation der römischen Zahl: Das Alphabet zählt ohne die drei Umlaute ä, ö und ü 26 Buchstaben. Wenn jeweils eine Serie von 100 Instrumenten einem Buchstaben des Alphabets zugeordnet wurde, ergibt dies pro vollständiges Alphabet 2600 Instrumente. Diese Zahl entspricht grob geschätzt etwa der Produktion in 20 bis 25 Jahren (100 bis 120 Instrumente pro Jahr). Im Zeitraum von etwa 100 Jahren würde dies bedeuten, dass die Kodierung vier bis fünf Mal mit der Serie a neu beginnen musste (vier bis fünf Alphabet-"Generationen"). Die römische Zahl könnte demnach die Alphabet-"Generation" markieren, d.h. die erste Generation von Instrumenten wurde nach dem Prinzip 1-100.a-z. kodiert, die zweite Generation 1-100.a-z.I, die dritte Generation 1-100.a-z.II etc. Die Klärung dieser Frage erfordert eine möglichst umfassende Auswertung des Datenbestandes an noch exisitierenden Signaturen und der Stammbuch- und Kalendereinträge.
Inkonsistenz der Kodierung
Die klassische Art der Dreifach-Kodierung wurde nicht immer beibehalten. Die Signatur der frühen Instrumente vor ca. 1900 folgt nicht diesem Schema.
Abb. 1: Signatur einer 4-bässigen Orgel von Alois Eichhorn-Steiner |
In der Zeit nach der Generalmobilmachung zum 2. Weltkrieg, also in der Zeit Ende 1939 bis 1940/41 wurde mindestens eine Serie von 100 Instrumenten nur mit einer Zahl und ohne Serienbezeichnung beschriftet (nur Code Teil a).
Abb. 2: Signatur von Josef Eichhorn um 1940 |
Im Jahre 1979 kam ein Alphabet zu Ende. Die Fortsetzung erfolgte nicht durch den Beginn einer neuen Alphabet-"Generation" sondern auf die Serie z folgte die Serie I (römisch Eins, Abb. 3).
Abb. 3: Seite aus dem Stammbuch 1953-1984. Der Wechsel von z auf I (römisch eins) ist deutlich zu erkennen. |
Es ist nicht möglich den genauen Zeitpunkt festzulegen, von dem weg die klassische Signatur in der Form a.b.c eingeführt wurde. Diese Inkonsistenzen bei der Beschriftung erschweren die genaue zeitliche Zuordnung, insbesondere auch auf Grund der Tatsache, dass wesentliche schriftliche Unterlagen zur Zeit nicht greifbar sind.
Stammbücher und Kalender
Zur Zeit ist das Stammbuch 1953-1984 digital erfasst und archiviert. Es handelt sich dabei um das letzte Stammbuch, das von der Fa. Eichhorn geführt wurde. Zudem sind die "Kalender" mit den Instrumenten aus den Jahren 1945 bis 1985 digital erfasst und archiviert. Stammbücher vor 1953 und Kalender vor 1945 müssen bis heute leider als verschollen eingestuft werden. Es gibt Hinweise darauf, dass die Dokumente im Rahmen einer Aufräumaktion vernichtet wurden. Es besteht allerdings die berechtigte Hoffnung, dass diese pessimistische Aussage nicht zutrifft und die Dokumente in den nächsten Jahren zum Vorschein kommen werden, da aktuell gewisse Räumlichkeiten in der Eichhorn-Manufaktur nicht zugänglich sind.
Die Frage nach dem Warum?
Jedem Interessierten stellt sich die Frage, weshalb ein derart intransparenter Code für die Signatur der Instrumente verwendet wurde. Weit nahe liegender wäre eine fortlaufende Nummerierung der Instrumente oder z.B. eine Jahresangabe plus fortlaufende Nummerierung der Instrumente in diesem Jahr. Der Code ist eindeutig in einer Weise gestaltet, dass nur Eingeweihte mit Zugriff auf zusätzliche Informationen (Kalender- und/oder Stammbucheinträge, Kenntnis der Schriften) die Bedeutung der Angaben erkennen können. Hier zeigt sich ein typisches Charaktermerkmal der Eichhorns, nämlich die profunde Verschwiegenheit in Geschäftsangelegenheiten, die möglicherweise eine wesentliche Voraussetzung für den Geschäftserfolg war. Persönliche Gespräche mit noch lebenden Familienangehörigen haben ergeben, dass es üblich war, dass selbst engste Angehörige den Raum verlassen mussten, wenn die Männer über geschäftliche Dinge sprachen. Also auch innerhalb der Eichhorn-Familie wurde strengste Geheimhaltung in geschäftlichen Angelegenheiten gewahrt. Die Folgen dieser Geschäftspolitik sind bis heute spürbar. Sie öffnen den Raum für Spekulationen und erschweren den exakten Nachvollzug der Geschichte der Eichhorn-Handharmonika.
Wie weiter?
Obwohl Signaturen schon gefälscht oder nachträglich abgeändert wurden, bieten diese die zuverlässigste Möglichkeit, das Baujahr eines Instrumentes einzuschätzen. Andere Merkmale wie Intarsien, Stimmenmaterial, Celluloid und Schilder sind wenig zuverlässig, da sie nachträglich leicht geändert werden können und da sie beim Bau der Instrumente nicht zuverlässig einer Periode zugeordnet werden können. Man nahm was man hatte bzw. was geliefert wurde und in einer Periode, die z.B. durch grosse Würfelintarsien am Balgrahmen charakterisiert war, konnte es vorkommen, dass eine Zahl von Instrumenten mit kleinen Würfelintarsien versehen wurde! Um die geschichtliche Entwicklung der Eichhorn-Handharmonika besser nachvollziehen zu können und eine genauere Datierung der Instrumente zu ermöglichen, wäre es wünschenswert, wenn ein Register der noch existierenden Instrumente angelegt werden könnte. Der Autor dieses Blogs wäre gerne bereit, den Aufbau und die Verwaltung eines derartigen Registers in die Hand zu nehmen und der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Er wäre allerdings auf die Mithilfe der Leser und Leserinnen, insbesondere auch der Sammler, Reparateure und Restauratoren angewiesen.
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